4. 1 - Auch Geistliche sehen fern!

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Na schön, ich hatte nicht sofort mit dem neuen Fall angefangen. Zuerst hatte ich mich hundemüde in die Bettlaken des Motels geschmissen und mich erst mal nach dem Aufwachen einer entspannenden Dusche und einem gelieferten Fast-Food-Fraß gewidmet und mich dann, nachdem ich mir die Haare zusammengebunden hatte, auf den Weg gemacht. Durch die Anreise und die Zeitverschiebung war es bereits wieder Abend, als ich rausging, um noch ein paar Besorgungen zu erledigen und mich umzusehen. Was mir ganz recht war – ich hatte zwar nichts gegen die Sonne, aber die Nacht war mir einfach lieber. Sie entsprach eher meiner dunklen Seele. Obwohl, so ganz recht hatte ich mit diesem Gedanken nicht, da ich genau in diesem Augenblick durch die Tür einer katholischen Kirche trat – und dabei nicht lodernd in Flammen aufging.
Ha! Das wertete ich doch als gutes Zeichen meiner seelischen Unversehrtheit.

Unauffällig sah ich mich in der leeren Kirche um, ob ich wirklich allein war, und näherte mich mit neuer guter Laune den Weihwasserbecken. Dazu wählte ich eines, das sich weiter hinten in dem Schatten eines Steinbogens und neben einem Beichtstuhl versteckt befand. Unter der Lederjacke holte ich einen kleinen Plastikkanister und einen kleinen Becher hervor. Rasch schöpfte ich das Wasser aus dem Becken in den Kanister, während ich in Gedanken vor mich hin summte.

Ich wusste nicht, was genau mich auf dieser Mission erwartete, aber ich wollte auf alles vorbereitet sein. Doch bei meiner Abreise hatte ich keine Lust mehr gehabt, meinen 6-Liter Weihwasser-Kanister bei meinen Verwandten aufzufüllen und dann mitzuschleppen. Ganz zu schweigen von der Ausrede, die ich ihnen hätte auftischen müssen, um überhaupt an den Vorrat heranzukommen. Ich bezweifelte, dass sie es mir abgekauft hätten, wenn ich ihnen von meinem plötzlich gefundenen Glauben berichtet hätte. Eher hätten sie mich in den Keller gesperrt, um mich von der nächsten Dummheit abzubringen.

Daher musste der kleine Kanister reichen. Außerdem würde ich ganz gut mit diesem einen Liter auskommen, um mir auf die Schnelle einige Wesen vom Leib zu halten. Man brauchte dazu lediglich gesegnetes Weihwasser eines Geistlichen, dabei spielte die Religion selbst keine Rolle. Nur reichte es nicht, einen Rosenkranz in einen Behälter zu legen oder selbst ein Gebet zu sprechen, um etwas zu weihen. Nein, für eine echte Wirkung brauchte man einen gesegneten Vertreter einer Glaubensrichtung.

Was ich hiermit hatte. Falls ich Nachschub bräuchte, wusste ich, wo die nächste Kirche am Rande von Jeseník lag, die sich gleichzeitig in der Nähe meines Motels befand. Mein Lager hatte ich hier aufgeschlagen, weil man schnell in den dicht gewachsenen Wald gelangen konnte, der die Stadt umgab, die mitten im Altvatergebirge lag. Die Gegend war vor Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt worden und seitdem rasend schnell gewachsen. Natürlich waren genau in dessen Umkreis die Kinder verschwunden und ich hatte so einen Verdacht, dass das Wesen, das ich suchte, sich in diesem Wald versteckte. Man konnte es Intuition oder einfach normalen Menschenverstand nennen.

Flink schöpfte ich die letzten Becher Weihwasser in meinen Kanister. Anschließend verschloss ich den Behälter mit geübten Fingern und wischte die Feuchtigkeit an meinem Shirt ab.
Gerade als ich abhauen wollte, räusperte sich jemand hinter mir. Ups, erwischt!

In Gedanken betete ich darum - was mir in der Kirche sehr passend erschien -, es möge keine ältere, tiefgläubige Frau hinter mir stehen. Diese waren am schwersten abzuschütteln und zu beruhigen, wenn sie mich auf frischer Tat ertappten bei dem, was ich eben tun musste. Das hatte ich schon erlebt und wollte es bei diesem einen Mal belassen.

Anstatt in das Gesicht so einer Dame zu blicken, einen jungen Ministranten vorzufinden oder einen betagten Pfarrer, stand dort ein hochgewachsener Mann. Da er sich direkt unter dem Steinbogen befand, konnte ich nur seine dunkle Silhouette ausmachen, was mir ziemlich egal war. Das Einzige, was mich interessierte, war, wie ich so unauffällig und rasch wie möglich aus der Sache rauskam. Schnell kramte ich meine schauspielerischen Fähigkeiten hervor und ließ beschämt den Kopf hängen.

„Darf ich fragen, was genau Sie da machen? Stehlen Sie etwa Weihwasser?", fragte eine tiefe, wohlklingende Stimme mit starkem tschechischem Akzent.
Schnell biss ich die Zähne zusammen und widerstand dem ersten Impuls, neugierig hochzusehen. Es wunderte mich, hier in dieser entlegenen Gegend tatsächlich wiederholt auf Englisch angesprochen worden zu sein – zuerst im Motel, jetzt hier. Vor fünfzehn Jahren war Englisch zur Weltsprache erklärt geworden, dennoch gab es Gegenden, die an ihren alten Sprachen festhielten, die ihre Traditionen pflegten und sich nicht darum scherten, welche Gesetze irgendwelche Politiker an ihren Tischen vereinbarten.

„Es ... es tut mir so leid ... ich ... ich", stottere ich gekonnt, vielleicht sogar eine Spur zu übertrieben. Mein Gehirn raste und suchte nach einer passenden Ausrede, während ich einen leisen Schluchzer entließ, nachdem ich mich fest in den hinteren Oberschenkel gezwickt hatte. Was mir zusätzlich ein paar Tränen in die Augen trieb. Perfekt. „Ich hole das Wasser für meine kranke Großmutter. Sie ist sehr gläubig und hat mich geschickt, damit sie trotz Krankheit zu Hause beten kann."
„Dazu benötigt sie einen ganzen Kanister? Wofür - um sich jeden Tag damit einzureiben?", entgegnete der Mann, klang dabei aber nicht wütend, sondern irgendwie amüsiert. Er hatte mich also durchschaut, auch gut.
Ich stellte mich breitbeinig vor das Becken und hob herausfordernd mein Kinn. „Na schön, erwischt. Ich brauch das Wasser. Wirklich. Wenn Sie wollen, bezahl ich dafür. Kein Ding. Wie viel wollen Sie?"
Meine Hand griff in die hintere Hosentasche und fischte einen Schein hervor, mit dem ich vor mir hin und her wedelte. Zwar wurde in meinem Heimatland bereits alles über den HandChip geregelt, aber ich war hier ziemlich am Arsch der Welt, daher hatte ich mir für Notfälle Bargeld aus den alten Zeiten besorgt.
„Nein, müssen Sie nicht", antwortete diese maskuline Stimme und langsam wurde ich wirklich neugierig. Als hätte mein Gegenüber meine Schwingungen aufgeschnappt, trat er endlich einen Schritt nach vorne und somit ins Licht, damit ich ihn sehen konnte.
Aber hallo, Mister! Einen Moment blieben mir alle dummen Sprüche im Hals stecken und ich konnte nur starren - oder eben sabbern. Ich war keine Frau, die sich schnell von attraktiven Typen blenden ließ, aber verdammt! Jetzt und hier war ich genau das – ein hormongesteuertes Etwas.

Vor mir stand ein sehr, sehr, seeehr gutaussehender Mann – manche, vor allem ich, würden ihn als sexy as hell, heiß oder einfach nur unglaublich beschreiben. Dunkle Augen in einem überaus attraktiven Gesicht, gekrönt von dunkelbraunem Haar, das vorne etwas länger war und leicht nach oben stand. Der dezente, gerade angehauchte Dreitagebart gab seinem Aussehen zusätzlich etwas Gefährliches, was bei mir genau die richtigen Knöpfe drückte. Ein schwarzer Mantel rahmte breite Schultern ein. Und dass er großgewachsen war, hatte ich bereits vorhin festgestellt.

Gerade als ich meine Flirtstimme auspacken wollte, blieb mein Blick an seinem Kragen hängen und ich verschluckte mich beinahe an meiner Zunge. Ein weißes Band war in das schwarze Hemd eingefasst – ein Pfarrer. Einen Moment wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Daher starrte ich ihn weiterhin nur an und verlor jegliche verbale Kompetenz. Was nicht förderlich war, da er die Hand ausstreckte.
„Ich heiße Matej, Matej Zednik. Das ist meine Kirche. Und wie ist Ihr Name?"


MONSTER GEEK: Die Gefahr in den WäldernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt